Samstag, 2. März 2013

Italien hat gewählt ... und die beschränkte Souveränität italienischer Wähler

Italien hat gewählt. Und? Die Welt exisiert immer noch. An den "Märkten" allerdings herrscht wohl blankes Entsetzen.

Lange Zeit beschränkte sich die Berichterstattung deutscher Medien darauf das Gruselgemälde einer Rückkehr von Silvio Berlusconi an die Wand zu malen und die bisherigen Leistungen der Regierung des Wirtschaftstechnokraten Mario Monti herauszustellen. Deutsche Politiker, allen voran Wolfgang Schäuble,  mischten sich lange vor den Wahlen ebenfalls in den Wahlkampf in Italien ein. Sie hatten damit Erfahrung, denn es waren die Politiker der gleichen Partei, die sich seinerzeit massivst in den ersten freien Wahlkampf der damals noch existierenden DDR eingemischt hatten.

Ach ja, und da waren noch die Sozialdemokraten die allerdings erst in der Berichterstattung auftauchten als sich abzeichnete dass der Goldman-Sachs-Jünger Monti vielleicht doch straucheln könnte. Der Kandidat der Sozialdemokraten, Perluigi Bersani, der ebenfalls versucht hatte sich als "Mann der Mitte" und damit der Konturlosigkeit zu präsentieren, erreichte die seinerzeit prognostizierten 47% nicht und mußte sich mit rund 30% zufrieden geben..

Der Kandidat Beppo Grillo der mit seiner 5-Sterne-Bewegung nun 25% der abgegebenen Stimmen abräumte, der kam erst in den letzten Tagen der Berichterstattung deutscher Medien vor, zu einem Zeitpunkt als man ihn einfach nicht mehr ignorieren konnte. Da Grillo in Italien als Komiker bekannt geworden war, war deutschen Medien auch klar dass es sich bei ihm und den Seinen doch wohl nur um "Politclowns" handeln könne. Und deutsche Politiker waren entblödeten sich nicht Grillo und Berlusconi auf eine Stufe zu stellen und beide nach der Wahl als "Clowns" zu bezeichnen, was wiederum einen berufsmäßigen Clown dazu brachte darauf hinzuweisen daß "Clown" durchaus ein ehrbarer und zudem anstrengender Beruf sei und er sich nicht mit Berlusconi auf eine Stufe gestellt sehen wolle.

Und die Wähler von Beppe Grillo? Ganz klar, war Beppe Grillo selbst nur ein "Wut-Komiker", so handelte es sich bei seinem Elektorat "ganz klar" um Protestwähler, oder wie man in Deutschland einst sagte, "Wutbürger", also nichts um das man sich ernsthaft kümmern muss. Eine vollständige Darstellung der inhaltlichen Positionen der 5-Sterne-Bewegung in deutschen Medien sucht man bis dato vergebens und wenn es eine gibt, dann ist klar, die Ideologie der "Grillini" ist "totalitär" - Ende der Durchsage. Im Zweifel kann man ja, falls alle Stricke reißen noch immer mit der Antisemitismuskeule agieren, das zieht immer.

Warum sich auch mit Inhalten wie Bekämpfung der latenten Korruption, mehr Transparenz, der Forderung der Abschaffung von Wahlkostenerstattung, und der Schaffung eines halbwegs demokratischen Wahlrecht, auseinandersetzen? Es reicht darauf hinzuweisen dass es sich um EU-Gegner ohne inhaltliche Positionen handelt. Mehr muss der deutsche Medienkonsument wohl nicht wissen. Totschlagsstatements anstatt inhaltlicher Darstellung.

Aber vielleicht ist alles ja ganz anders. Vielleicht handelt es sich bei den 5 Sternen nicht um Europagegner sondern um Gegner des Europas Merkelscher Prägung? Vielleicht gibt es ja jenseits der Vorstellungsgrenzen von Mainstreamjournalisten ein ganz anderes Europa? Ein Europa der Bürger und ihrer Mitbestimmung? Ein Europa jenseits selbsternannter EU-"Eliten" die u.a. meinen im Zweifel auch einmal lügen zu dürfen wenn es nur "der Sache" nützt? All das wird in der deutschen Berichterstattung schlicht so unterschlagen dass man sich manchmal in die Zeiten einer "Schere im Kopf" oder der "Reichsschrifttumskammer" zurückversetzt fühlt.

Komisch, die Protestwähler deren vielleicht vorhandene inhaltliche Forderungen oder deren Umwohlsein mit der etablierten Politik real exisiert, sie sind schon einmal aufgetaucht, damals, als die Piraten sich anschickten ins Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen. Auch damals waren es "Politclowns" die aus Protest gewählt wurden.

Jetzt haben die italienischen "Politclowns" mit ihren 25% ein gewichtiges Wörtchen mitzureden zum Verdruß derer, die sich gewünscht hatten mit ihrer "Reformpolitik", also der Umverteilung von unten nach oben, der Deregulierung und des Abbaus von Mitbestimmungsrechten ungestört weitermachen zu können. Das weithin postulierte Ende der Krise in Europa ist eben nicht in Sicht. Und schon gibt es Leute die vorschlagen die Wähler erneut an die Urnen zu rufen um zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen, zu Ergebnissen, die den "Märkten" eher ins Konzept passen.  Und wehe dem der dann "falsch" wählt, das Ende Europas, des Euro, ja wenn nicht der gesamten Welt stehe dann bevor. Die Freiheit wird dann sicher dem Sozialismus wenn nicht gar Schlimmerem weichen müssen.

Das erinnert mich sehr an das Gedicht von B. Brecht "Die Lösung" zum 17. Juni 1953 in dem er seinerzeit vorgeschlagen hatte dass die Regierung das Volk auflösen und sich ein anderes Volk wählen möge. Warum erinnern mich die "Guten Ratschläge" auch an die undurchsichtigen Aktivitäten Henry Kissingers seinerzeit im Fall Chile? Und last but not least erinnert es mich in gewisser Weise auch an die Doktrin der "beschränkten Souveränität" eines Breschnew die jedenfalls dann gelten sollte wenn es um "das große Ganze" - in diesem Fall um den Euro und die damit verbundenen Strukturen - geht.

Nun, nicht alle Bürger (nicht nur in Italien) scheinen sich länger mit dem "Argument" totschlagen lassen dass etwas "alternativlos" sei oder dass man eben eine "marktkonforme Demokratie" brauche. Eine gute Zusammenfassung ist da folgender Kommentar den ich irgendwo fand:

Das Wahlergebnis in Italien ist keines, das man den Menschen dort und den Europäern insgesamt wünschen möchte. Die Wähler haben gesprochen und sich für keine eindeutigen Mehrheiten entschieden. Ob die schwache Mitte-Links-Mehrheit wirklich regierungsfähig bleiben kann, wird sich zeigen, ist aber eher unwahrscheinlich. Schlichtweg unerträglich finde ich die Medienberichterstattung in Deutschland, wenn als Beurteilungskriterium oft schnell zitiert wird, dass nun "die Märkte" nervös reagierten und Zinsen für Staatsanleihen sich deutlich verteuerten. Wer bitteschön sind denn "die Märkte"? Haben sich die Menschen Europas nur noch "den Märkten" und den Interessen der dort agierenden Investorengruppen unterzuordnen? Soll Europa nur noch ein Europa dieser "Märkte" sein, die demokratische Wähler in einzelnen Staaten immer dann abstrafen, wenn diese ausdrücklich gegen diese Entwicklung protestieren. Und sind die Interessen der Deutschen immer und eindeutig identisch mit dem von Medien so geliebten Europa, in dem "Märkte" nur noch Ziele vorgeben? In diesem Land herrscht eine eigenartig widersprüchliche Haltung gegenüber demokratischen Prozessen unter kapitalistischen Bedingungen. Einerseits kritisieren bedeutende Intellektuelle wie Faz-Herausgeber Schirrmacher die Egomanie, mehrere SPON-Journalisten schreiben fast regelmäßig über negative Begleiterscheinungen des Kapitalismus in jetziger Ausprägung - nur: Wähler dürfen doch nicht rebellieren, da sind viele dann doch wieder viele bei Frau Merkel und ihrer Regierung. Dass diese Rebellion eben gerade eine Reaktion auf Merkels Europapolitik zugunsten "der Märkte" ist, wirft die politischen Probleme doch gerade erst auf. - Journalisten in deutschen Medien: ahnungslos und keineswegs investigativ, wenn neue, andere Antworten gefragt sind. Wir ducken uns vor "den Märkten" ab ...

Auch der Kommentar in der TAZ trifft die Sache gut wenn es dort heißt :

"Die Protestliste Beppe Grillos, die „5-Sterne-Bewegung“, ist mit 25,5 Prozent die stärkste Partei im Land, und etwa 55 Prozent wählen, in einem der pro-europäischsten Länder der EU, gegen Europa. Gegen dieses Europa wenigstens, gegen das Europa der Austerität, gegen das Europa der Brüsseler Diktate, kurz: gegen das Europa der Kanzlerin Merkel."

Was können wir aus dem Ganzen lernen?

Erstens:

Der seinerzeit mit Kraft vorangetriebene "Siegeszug" des Neoliberalismus ist vorerst in einem Land der Euro-Zone zum Stillstand gekommen, er ist aber noch nicht beendet. Die Verfechter der Ideologie der "Staatsschuldenkrisen" ( Gemeint ist die Krise der Banken) denen man nur mit gehörigem "Sparen" (Gemeint ist mit Streichungen im Haushalt) zu Leibe rücken muss, werden sich nicht so einfach geschlagen geben. Es geht um Geld, um sehr viel Geld das in- und ausländische Banken seinerzeit u.a. in italienischen Staatspapieren angelegt hatten. Und dieses Geld will man zurück, weil anders in der Tat ein Ansteckungseffekt droht, ein Ansteckungseffekt, der klarmachen wird auf welch tönernen Füßen die Banken stehen und wessen Geld sie da "gewinnbringend" (zunächst natürlich für sich) "investiert" haben. Es ist nicht zuletzt über sog. "institutionelle Anleger" (Lebensversicherer, Pensionskassen u.ä.) angelegtes Geld auch deutscher Sparer das da wohin auch immer "versickert" ist. Und wenn das verloren geht - Banker wissen was das Wort Banken-Run bedeutet.

Zweitens:

Die politische Klasse - nicht nur Italiens - hat ein gerütteltes Maß an Interesse dass diese Wahrheit nicht allzu schnell ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Es geht u.a. auch um deren Schicksal und damit auch "um den Erhalt des Systems" so fragwürdig das auch immer sei,

Drittens:

Die Mainstream-Massenmedien haben sich, bewußt oder unbewußt vor den Karren derer spannen lassen die um des Systemerhalts willen alles, aber auch alles machen um den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Mag das beim Fall Griechenlands noch einigermaßen geklappt haben, so zeigen mehr und mehr Staaten und die dort stattfindenden Demonstrationen in Irland, Portugal, Spanien, Italien und in Bulgarien wo sogar die Regierung zurücktrat, dass man zwar Europa wolle, aber nicht solch ein Europa.  Nicht umsonst gibt es deshalb bereits Warnungen vor einem "Europa mit Weimarer Verhältnissen".

In Italien hat man "die Glocken" wohl zum Teil vernommen. Andere wurschteln mit ihrem "weiter so" vor sich hin ohne den Ernst der Lage zu erkennen. Ob die Bundestagswahl am 22. September 2013 in Deutschland ebenfalls zum "Aufhorchen" führen wird ist solange ungewiss wie die Kanzlerin immer noch von einer Welle der Zustimmung bis hinein in das Lager der Sozialdemokraten und ihrer Wähler getragen wird. Die Signale mehren sich aber, dass weitere Kräfte aufstehen werden um am Stuhl der "Teflon-Kanzlerin" zu sägen.

Ob die Piratenpartei, lange Zeit Hoffnungsträger u.a. der neumotivierten Nichtwähler, an diesem "Stuhlsägen" erfolgreich mitwirken kann, wird man sehen. Innerparteiliche Querelen und öffentlicher Schlagabtausch, manchmal auch unter der Gürtellinie sind dazu sicher nicht das geeignete Mittel der Wahl.

P.S. und ganz so tragisch scheint es Italien doch nicht erwischt zu haben. 

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