Samstag, 27. Juli 2013

Wir sind Anti-Amerikaner?

27. Juli 2013 - Schon seit ein paar Wochen gärt es in Deutschland, vielleicht nicht ganz laut, aber immerhin. Selbst Mainstream-Medien können es nicht mehr überhören. Edward Snowden, ein Mitarbeiter eines IT-Unternehmens das u.a. auch für Sicherheitsdienste der Vereinigten Staaten gearbeitet hat, hat es an das Licht der Öffentlichkeit gebracht. Was bisher als zusammengesponnenes Konstrukt von Verschwörungstheoriefanatikern erschien, ist Wahrheit geworden. Mittels Telekommunikationsüberwachung haben Sicherheitsdienste des In- und Auslandes sich bestens darüber informiert was Bundesbürger so denken. Speicherten die einen “nur” Verbindungsdaten (Wer mit wem wann in Kontakt trat) haben andere auch die Datenpakete aufgeschnürt um sich vom Inhalt zu überzeugen. All das geschehen unter dem Thema “Kampf gegen den Terror”.

Eiligst war man allerorten bei den Regierenden bemüht die Affäre herunterzuspielen. Waren es anfangs noch 45 Terroranschläge die man dank der Überwachung verhütet haben wollte, so schmolzen die beim Bundesinnenminister später dann flugs auf sieben und später auf fünf Anschläge zusammen um am Ende schnell aus der Debatte zu verschwinden. Die überwachenden “Freunde” aus den Vereinigten Staaten wurden freundlichst um Aufklärung gebeten. Ganz im Stil eines Satrapen der untertänigst am Hof des Herrschers vorspricht, genau so trat der Bundesinnenminister in Washington auf. Zurückgekehrt nach Berlin hatte er allerdings wenig Klares zu bieten, Symbolik statt Handeln eben.

Und damit man der Öffentlichkeit auch die genügende Menge an Sand in die Augen streuen konnte holte man die Argumentskeule des “Anti-Amerikanismus” ganz im Stile eines “Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns”  aus der Mottenkiste in der Hoffnung damit die Debatte, die das Zeug hat die “beliebte Kanzlerin” zu beschädigen, beenden zu können. Verfängt das Argument? Zumindest bei mir nicht. Ich fühle mich genauso wenig als “Anti-Amerikaner” wie der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten Jimmy Carter, der im Gegensatz zu unserem Bundespräsidenten klare Worte fand.

Nein, ich ziehe mir das mir hingehaltene Etikett des “Anti-Amerikanismus” nicht an. Ich mag Amerika, oder genauer gesagt die Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Slogan “No taxation without representation” zeigten die Bewohner der damaligen britischen Kolonie welches Demokratieverständnis und Verhältnis zu den Regierenden sie im Gegensatz zum britischen König hatten. Das Ganze mündete in der Unabhängigkeitserklärung deren Text auch heute noch eine der wesentlichen Quellen von Verfassungen in demokratischen Staaten bildet.

Mein Verhältnis zu Amerika

Kindheit

Wer so alt ist wie ich, der hat seine Kindheit und Teile seiner Jugend sicher auch mit Karl May verbracht, dem Schriftsteller der selbst nie in Amerika war. Mit der Gestalt des Winnetou schuf Karl May eine Figur, die uns abseits der Geographie-Stunde in der Schule viel eher für Amerika begeistern konnte als der Lehrer der uns die Geographie nahebringen wollte. Tom Sawyer und Huckleberry Finn versetzten uns ins Zeitalter der Sklaverei und brachten uns auch mehr über die Vereinigten Staaten bei als stures Auswendiglernen von Jahreszahlen im Geschichtsunterricht.  1963 - Ich war damals elf Jahre alt. Der junge amerikanische Präsident John F. Kennedy fährt in die Westsektoren von Berlin und sagt den Satz den man bis heute nicht vergessen hat „Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mensch stolz darauf, sagen zu können ‚Ich bin ein Berliner‘!“ Bar jeder politischen Kenntnis war es für mich beeindruckend und ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben wie wir mit unserer Familie vor dem Schwarz-Weiss-Fernseher saßen und dem Besuch Kennedys in Berlin folgten. Nur einige Monate später saßen wir wieder vor dem Fernseher und konnten es nicht glauben, John F. Kennedy war bei einem Besuch in Dallas erschossen worden. Auch an die Übertragung der Trauerfeier erinnere ich mich. wie die Politik unter John F. Kennedy sonst so war, davon hatte ich keinen Schimmer. Vietnam war weit weg und was die Bürgerrechtsbewegung wollte war bei mir noch nicht angekommen. Amerika war irgendwie ein Traum und schließlich beschützten uns die Amerikaner vor den Kommunisten, deren Reich nur rund zwanzig Kilometer in einem Dorf namens Böckwitz begann.

Jugend - Das “andere” Amerika

Der Traum von Amerika begann bei mir zu bröckeln. Ausschlaggebend dafür waren neben dem Vietnamkrieg, der nun auf die Fernsehschirme kam das Buch “Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses”. Dass das weiße Amerika mit seinen Ureinwohnern wenig zimperlich umging war zwar schon in Karl May Filmen ansatzweise zu sehen gewesen, aber wie es tatsächlich seinerzeit zuging hatte man wohl vergessen uns im Geschichtsunterricht zu erzählen. Auch die Vorgänge in Vietnam waren kein Teil des Lehrplans. Das änderte sich als unsere Klasse zu einem sog. “sozialwissenschaftlichen Zweig” mutierte. Waren die Klassen bis dato in mathematisch-naturwissenschaftliche und sprachwissenschaftliche Zweige unterteilt, so kam nun der dritte Zweig, die sozialwissenschaftliche Orientierung hinzu. Neben klassischen Fächern traten nun auch Soziologie, Recht und Politik auf den Lehrplan. Wir Schüler waren gefragt und beteiligten uns emsig und mit Begeisterung an der Ausgestaltung des Unterrichts. Und auf einmal erfuhren wir ein “anderes Amerika”. Das hatte wenig gemein mit dem Amerika das uns vor dem Kommunismus beschützte. Worte wie “Schweinebucht” und “My Lay” tauchten auf. Keine Ruhmesblätter für ein Land das sich selbst als Hort der Freiheit und Demokratie darstellte. Die Vietnambewegung ließ selbst uns Schüler nicht kalt und eine Schülerdemonstration unter dem Slogan “Oma runter vom Balkon, unterstütz den Vietcong” war eine der Folgen. Die so angesprochenen Omas unterstützten den Vietcong erwartungsgemäß leider nicht. Sie hatten aber den giftig vorgetragenen Ratschlagt “Geht doch nach drüben wenn’s Euch hier nicht paßt.” parat. Aber dem wollten wir nicht folgen.

Studium - Amerika hilft, jedenfalls teilweise

1970 - Salvador Allende gewinnt die Wahlen in Chile. US-Außenminister Henry Kissinger ließ, als der Sieg der linken Kräfte absehbar war, verlauten: „Ich sehe nicht ein, weshalb wir zulassen sollen, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.“

1973 begann ich mein Studium in Berlin, an einer von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika massgeblich finanzierten Universität, der Freien Universität in Berlin. In Berlin gab es damals den Militärsender der USA, AFN (American Forces Network). Army Sergeant Rick Delyel war der Moderator des Senders, der seinen deutschen Konkurrenten vom SFB was Musik anging haushoch überlegen war. Und nebenbei konnte man aus seinem Schulenglisch so ein halbwegs passables Englisch machen. Und ausserdem organisierten die Amerikaner das deutsch-amerikanische Volksfest in Zehlendorf und so kam man mit ihnen auch direkt in Berührung, nette Leute. Zum ersten mal in meinem Leben lerne ich Wein aus Kalifornien kennen. Mein Amerikabild entspannt sich ein wenig.

1973 organisierte die Regierung der Vereinigten Staaten unter kräftiger Beteiligung des damaligen Aussenministers Henry Kissinger den Militärputsch gegen Salvador Allende in Chile. Zehntausende Chilenen wurden verhaftet, gefoltert und getötet oder gingen in das Exil, u.a. in die DDR. Ein weiteres Meisterstück US-amerikanischer Aussenpolitik mit der die Regierung der Vereinigten Staaten das vorwegnimmt was der sowjetische Generalsekretär sechs Jahre später für den Machtbereich der UdSSR als “Theorie der begrenzten Souveränität” proklamiert. Im Gegensatz zur UdSSR allerdings wendet die USA diese Strategie auf Staaten an die sich gegenüber Washington als potentielle Gefahr darstellen.

1974 - Nachdem nicht mehr geleugnet werden kann tritt Präsident Nixon im Gefolge der Watergate-Affaire endlich zurück. Neben dem Eindruck dass die Regierung der Vereinigten Staaten offensichtlich meint sich alles erlauben zu können, überwiegt der Eindruck dass die Presse in Amerika wirklich unabhängig ist und die Macht des Weissen Hauses ihre Grenzen hat. Democracy at its best.

1983 - Nach gehabtem Muster “Wehret den Anfängen” interveniert die USA in Grenada, einem Land das dem Commonwealth of Nations angehört. Auch hier stört das vermeintliche Vordringen des Kommunismus.

1986 - Die Iran-Contra Affäre wird bekannt. Geld aus dem Waffenhandel der USA mit dem Iran wird von der Regierung Reagan dazu genutzt die sog.”Contra-Rebellen”  in Nicaragua bei dem Versuch die sandinistische Regierung zu stürzen zu unterstützen. Sicherheitsdienste der USA sehen weg als die Contras zwecks Finanzierung ihres Bürgerkrieges Rauschgift in die USA verbringen, m.a.W. die Regierung der USA duldet es dass Teile seiner Bevölkerung für “höhere Ziele” vergiftet oder zu Tode gebracht werden. Democracy at its worst.

Die Einzelheiten des Rests erspare ich mir mal und gebe nur Stichworte wieder. Als da wären die Intervention in Afghanistan und die Unterstützung der Mudschihedin die letztlich dazu führte dass ein Osama Bin Laden best ausgerüstet sich an sein blutiges Werk machen konnte. Da wäre die Intervention im Irak weil der Massenvernichtungswaffen habe. Das Ergebnis ein Desaster und ein langjähriger Bürgerkrieg. Der vollmundig angekündigte “Krieg gegen den Terror” hinterlässt ein Scherbenfeld wo immer auch die Vereinigten Staaten von Amerika auftauchen. Die seinerzeit in der Unabhängigkeitserklärung propagierten Menschenrechte wurden und werden nur noch in Sonntagsreden propagiert. Guantanamo besteht immer noch. Die Kriegsverbrechen im Irak die dank eines mutigen Soldaten dadurch an das Tageslicht kamen dass er ungezählte Belege dafür mittels WikiLeaks veröffentlichen ließ, sprechen eine ebenso deutliche Sprache wie die Dinge, die Edward Snowden jetzt zutage förderte. Die Vereinigten Staaten von Amerika die neben der Sowjetunion einen wesentlichen Anteil an der Niederringung des Hitler-Faschismus trugen und die großen Teilen Europas die Freiheit brachten, all das haben ungezählte Aktionen verschiedener Regierungen im Weissen Haus zerstört.

Es gibt das "andere Amerika" der Mutigen und Aufrechten

Und dennoch gibt es das “andere Amerika”. Es ist das Amerika der Bürgerrechtsbewegung, der Studenten von Berkley, das musikalische Amerika der Beach Boys, der Mamas und Papas, das Amerika von Joan Baez und Bob Dylan, das Amerika der Schriftsteller, des Mark Twain, des Ernest Hemingway und des Charles Bukowski. 

Es gibt das Amerika der Mutigen die nicht wegsehen. Nur hörte man von denen früher wenig. Mit dem Aufkommen des Internets hat sich all das gewandelt. Die Aktionen der Occupy-Bewegung hätte früher kaum jemand wahrgenommen.

Was früher lange brauchte um in die Öffentlichkeit zu kommen, das kann heute über Nacht den letzten Winkel der Erde erreichen. Und damit hat auch das “andere Amerika” eine Chance. Wenn heute ungezählte Menschen an Aktionen gegen die Überwachung teilnehmen, so geht es dabei nicht darum sein Missfallen gegenüber “den Amerikanern” kund zu tun. Es geht darum sich gegen eine Politik zu wehren die meint den Menschen bis ins Letzte durchleuchten zu müssen. Es geht darum sich auf die Seite derer zu stellen die ihrem Gewissen folgen und nicht wegsehen wenn Regierungen sich anschicken Verfassungen mit Füssen zu treten.

Anti-Amerika ist das bei weitem nicht. Anti-Amerikaner sind vielmehr die, denen Macht vor Recht geht. In diesem Sinne ist die heutige #StopWatchingUs Demonstration u.a. auch eine Aktion pro Amerika, für das “andere Amerika” für das die Whistleblower Edward Snowden und Bradley Manning nur stellvertretend stehen, das Amerika der Zivilcourage.

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