Dienstag, 29. Oktober 2013

Still ruht der See ... und laut tösen die Fanfaren

Während Herbststürme über Europa ziehen herrscht Stille über den tiefen Wassern von Berlin in deren dunklen Untiefen sich die - glaubt man den Mainstreammedien - von den Deutschen sehnlichst herbeigesehnte Grosse Koalition bildet. Zeit also den Blick auf die am Horizont heraufziehende goldene Zukunft zu lenken.

Und was sieht man da? Da könnte man - wenn man denn die BILD-Zeitung oder den Focus liest - sehen dass die Zahl der Klagen gegen Hartz4 abnehmen. So jedenfalls tönt es aus der Bundesanstalt für Arbeit (BA) die in diesen Tagen. Fehlt eigentlich nur noch eine passende Fanfare zu dieser Meldung und man würde sich in alte Zeiten zurückversetzt fühlen, Zeiten in denen eine verlorene Schlacht den erstaunten Massen als "Frontbegradigung" verkauft wurde.

Und was sind nun die Ursachen für diesen wundersamen Rückgang der Klagen gegen Hartz4? Folgt man den Aussagen der BA so sei dafür das gewachsene Vertrauen in die Arbeit der Jobcenter verantwortlich. Im Vergleich zu den Zahlen des Vorjahres sei ein Rückgang der Widersprüche um 23.000 und der Klagen um 5.000 Stück zu verzeichnen. Zwar wird allerorts das verbesserte Wirtschaftsklima und die besseren Zahlen des Arbeitsmarktes beschworen, die BA aber will den wundersamen Rückgang von Klagen und Widersprüchen wohl nicht daran koppeln. Verbesserte Vermittlungszahlen jedenfalls sucht man als Ursache des wundersamen Rückgangs von Klagen und Widersprüchen vergebens in den Angaben der BA.

Abseits des lautstarken Rummels allerdings braut sich fast unbemerkt neues Ungemach für die Bezieher von ALG II zusammen. Unter dem unverfänglichen Titel "Vorschläge zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts im SGB II einschl. Verfahrensrecht" hat eine Arbeitsgruppe ("AG Rechtsvereinfachung im SGB II") seit Juni 2013 in drei Workshops zahlreiche Vorschläge zu anstehenden Änderungen im SGB II erarbeitet. Hier einige von ihnen.


Mit ihrem Vorschlag den Gewährungszeitraum in §41 SGBII auf regelmäßig 12 Monate zu verlängern kommt die Arbeitsgruppe nicht nur dazu unnötigen Verwaltungsaufwand und Papierkrieg zu sparen, endlich scheint zumindest teilweise die Einsicht eingekehrt zu sein dass man fehlende Arbeitsplätze nicht vermittels aufgeblähtem Verwaltungsaufwand kompensieren kann.

War bisher die Leistungsbehörde verpflichtet nachzuweisen dass der Leistungsbezieher in einer Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten lebt vermittels derer er Leistungen erhält, so soll dies Prinzip nun zu Lasten des Bürgers umgekehrt werden. Es obliegt danach dem Hilfebezieher nachzuweisen dass er diese Leistungen eben nicht erhält. Und um das Ganze abzurunden wird empfohlen diese Vermutung zuungunsten des Bürgers auch auf die Gewährung von Unterkunft und Heizung zu erweitern.

Sinnvoll hingegen ist der Ansatz die Regelbedarfe von Erwachsenen in einer Partnerschaft an die Regelbedarfe von Alleinstehenden anzugleichen. Das bedeutet in der Praxis, dass die arbeitsaufwendige Notwendigkeit der Behörde entfällt das Bestehen einer Partnerschaft nachzuweisen. Partner könnten ohne finanzielle Einbußen zusammenziehen und so können zumindest Unterkunfts- und Heizungskosten eingespart werden. 

Ein weiteres Problem stellen derzeit die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung dar. Nachdem Gerichte zunehmend zugunsten der Kläger entscheiden und nachvollziehbare Berechnungen für Unterkunfts- und Heizungskosten einfordern sieht man sich offenbar unter Druck dieses Problem anzugehen. Aprobates Mittel zur "Lösung" dieses Problems könnte nach Ansicht des Deutschen Landkreistages darin liegen dem Leistungserbringer sowohl einen erweiterten Beurteilungsspielraum bei der Frage der Angemessenheit von Wohnraum als auch Heizkosten einzuräumen als auch eine gesetzliche Vermutung für die Richtigkeit der Entscheidung über die Angemessenheit zu schaffen. 

Für die Bezieher von ALG II verschlechtert sich dadurch ihre Rechtsposition erheblich. Beurteilungsspielräume unterliegen nämlich nur noch einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung und eine gesetzliche Vermutung müßte im Zweifel vom klagenden Anspruchsteller mittels Beweis entkräftet werden. Das ist eine Aufgabe die faktisch unlösbar ist.

Die weiteren geplanten "Vereinfachungen" kann man hier nachlesen. Interessant scheint mir abschliessend nur noch der Hinweis auf die angestrebten verfahrensrechtlichen Änderungen. Zwar verkündete die BA unlängst dass die Anzahl der Klagen und Widersprüche im Bereich ALG II zurückgegangen seien. Aber dabei will man es wohl nicht belassen. Angedacht ist, dass vor Einreichung einer Klage ein zwingendes Mediationsverfahren zu durchlaufen ist, bei dem der Kläger anwesend sein muss. Weiterhin soll das bisher kostenlose Gerichtsverfahren bald teil der Geschichte sein. Zwanzig Euro soll der Kläger nun vorab zahlen. Man fühlt sich an die seligen Zeiten der Praxisgebühr erinnert und sollte der Vorschlag Realität werden, so wird sein Abschreckungseffekt wahrscheinlich genau so hoch sein wie der Abschreckungseffekt der Praxisgebühr.

Man kann also sehen dass alte Rezepte erneut herangezogen werden. Nicht die Beseitigung der Ursachen wird angestrebt, sondern der Kampf gegen die unbotmäßigen Erwerbslosen steht auf der Tagesordnung.

Und was die Transparenz der Arbeit der Arbeitsgruppe angeht, so fühlt man sich an alte Zeiten erinnert.

Was schon bei der Verabschiedung der Änderungen zum Melderecht gut funktioniert hat, damals wurden Gesetzesänderungen, die dazu führten dass Daten der Bürger von Meldeämtern vereinfacht an Dritte herausgegeben werden konnten, im Rahmen einer Nachtsitzung des schwach besuchten Bundestages einfach durchgewunken, das wird offenbar erneut versucht. Die geplanten Änderungen am SGB II sollen sang- und klang- und möglichst geräuschlos über die Bühne gehen. Dass das nicht erneut gelingt, dafür kann eine wachsame Öffentlichkeit sorgen. 




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